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Corona: Interview mit Flensburgs Oberbürgermeisterin
Wir haben unsere Oberbürgermeisterin zur Corona-Krise befragt. Mit dem richtigen Sicherheitsabstand auf offener Straße.
Mark:
Wir alle werden von Krankheitskurven, Statistiken und Infos der Virologen nahezu erschlagen.
Auf welche dieser Kurven/Messdaten achtest du am meisten?
Oberbürgermeisterin:
Genau. Also wir haben eine ganz eindeutige Regelung. Wir achten, gemeinsam im Krisenstab, und ich auch als Oberbürgermeisterin, auf das, was das RKI vorgibt.
Mark:
Wie viele Betten stehen in Flensburg für Intensivbehandlungen zur Verfügung?
Oberbürgermeisterin:
Ehrlich gesagt kann ich die Anzahl [der Intensivbetten] jetzt wirklich nicht sagen. Obwohl wir mit den Krankenhäusern jeden Tag in Kontakt stehen … ich hab‘s nicht im Kopf. Es sind aber mehr als wir im Moment brauchen.
Mark:
Wie viele Beatmungsgeräte haben wir im Ernstfall?
Oberbürgermeisterin:
Also dazu muss man wissen, dass die Krankenhäuser hier nicht nur für Flensburg zuständig sind, sondern für den gesamten Norden. Also das, was die dort oben haben, gilt dann für alle Patienten im Norden. Sie sind Schwerpunktkrankenhaus „Corona“. Die Anzahl der Beatmungsgeräte im Krankenhaus kenne ich nicht. Es gibt aber auch entsprechende unterstützende Geräte beim Rettungsdienst. Und wir haben dann auch noch was in Reserve, sozusagen, als Kommune.
Mark:
Welchen Stellenwert hat für dich die ambulante ärztliche Versorgung in Flensburg?
Oberbürgermeisterin:
Die hat im Moment einen extrem hohen Stellenwert weil wir nämlich beide Ebenen bedienen. Wir gucken auf die ambulante Versorgung, weil nämlich Corona-kranke Menschen ja nicht sofort auf stationäre Versorgung angewiesen sind, sondern im ersten Schritt immer auf eine ambulante Versorgung. Weil wir ja auch vermeiden wollen, dass die Leute ins Krankenhaus müssen. Also bei einer guten ambulanten Versorgung kann man ja möglicherweise vermeiden, dass sie stationär aufgenommen werden müssen. Deswegen haben wir beides im Blick.
Mark:
Was möchtest du den Einzelhändlern, Gastronomen, der Tourismus- und anderen Branchen sagen, die gerade besonders schwer betroffen sind?
Oberbürgermeisterin:
Erstmal danke, dass Sie das alle mit uns aushalten. Und das Zweite ist, dass ich wirklich nur hoffen kann … erstmal wünsche ich jedem einzelnen, dass er die wirtschaftliche Kraft hat, es durchzuhalten und es auszuhalten. Ich will nochmal unser Angebot geben, also bittet wendet euch auch an uns, ich weiß, dass es im Moment auch ganz viel Unzufriedenheit gibt, ganz viele Fragen gibt. Bitte wendet euch an uns, meckert durchaus auch mal mit uns, wenn es nicht ganz rund läuft. Auch wir haben unsere Arbeit komplett umstellen müssen. Wir wollen an eurer Seite stehen, wir wollen euch unter die Arme greifen und deshalb kann ich nur immer wieder sagen: Wendet euch an uns!
Mark:
Wenn die Finanzexperten recht behalten, steuern wir gerade in eine der größten Wirtschaftskrisen der Geschichte. Die Börse bricht genau dann ein, wenn sich ein Virus verbreitet. … Dieser Vorgang war von Finanzexperten lange angekündigt. Aber das Virus ist ja nun Schuld. Ein genialer Schachzug wie man denken könnte, weil niemand die Verantwortung übernehmen muss. Große Unternehmen werden vom Staat unterstützt, viele kleine Betriebe werden das nicht überleben.
Verstehst du, dass viele dieser Unternehmer/Angestellten wütend sind und sich betrogen fühlen?
Oberbürgermeisterin:
Ja, das versteh ich und viele wenden sich ja schon an uns weil sie sagen, „wir sind vergessen worden.“ Dieses: „da kriegen wir nichts und da kriegen wir nichts“ und da gibt es auch ganz viele Fragen. Und das meinte ich auch vorhin in meinem Appell: Wir wollen das auch wissen! Die Zuschüsse kommen ja von Bund und Land. Die Bundesländer haben das unterschiedlich geregelt. Wir wollen das auch wissen und wollen uns auch entsprechend schnell dafür einsetzen, dass Gerechtigkeitslücken geschlossen werden. Das ist das, was wir jetzt machen müssen. Ich finde es wichtig, dass es generell Zuschüsse gibt. Also für Unternehmen, wie sollen die sonst diese Phase überstehen? Aber wir müssen jetzt auch aufpassen, dass es keine Ungerechtigkeiten gibt. Und deswegen muss auch ich das wissen, ich kann ja nicht immer sofort alles wissen, Also die ganzen …
Mark:
Sorry, das ich unterbreche, aber die Frage ist ja eine andere: Es wurde ja groß verkündet, dass die ganzen Solo-Selbstständigen, Künstler, usw, dass die jetzt alle eine Soforthilfe bekommen. Kredite für Unternehmen. „Unbegrenzte Kredite in Milliardenhöhe, niemand wird im Stich gelassen“ wurde angekündigt.
Diese Kredite und Soforthilfe bekommen jetzt aber sehr viele gar nicht?
Oberbürgermeisterin:
Kriegen sie gar nicht. Die kriegen sie ja nur unter ganz bestimmten Bedingungen. Und das meinte ich, da muss dann nachgebessert werden. Wir hatten ja z.B. am Anfang, ganz am Anfang gab es ja die Lücke bei diesen Unternehmen zwischen 10 und 50 [Mitarbeiter] und die wurden ganz vergessen. Da wird jetzt nachgebessert. Deswegen auch alles andere. Auch dass könnt ihr auch der Oberbürgermeisterin sagen, so. Wir adressieren das dann an die Landesebene und sagen: Da müsst ihr nachbessern. So muss der Weg sein.
Mark:
Wir steuern in eine Finanzkrise, die von diversen Experten mit einer besonderen Auswirkung und drohender Inflation eingestuft wird. Das würde Insolvenzen, Enteignungen, Anstieg der Arbeitslosigkeit bedeuten.
Welche Folgen sind dann noch zu erwarten?
Oberbürgermeisterin:
Also mein Blick ist gerade wirklich für die Region. Ich habe ja genug zu tun und wir werden ja auch die nächsten Jahre genug zu tun haben. Als Oberbürgermeisterin ist es ja sozusagen in beiden Hinsichten gruselig. Ich hab eine Gesundheitslage, die ich nicht will, weil Menschen daran sterben. An einer tückischen Krankheit, die teilweise sehr sehr schnell dazu führt, dass die Menschen sterben. Also das ist ja wirklich, das rinnt einem manchmal wirklich unter den Fingern weg. Deswegen ist es schon total wichtig, das ernst zu nehmen. Wirklich ernst zu nehmen und nicht einfach auf die leichte Schulter nehmen, dass es diesen Virus gibt. Auf der anderen Seite sehe ich natürlich die Wirtschaftsfolgen für meine Stadt, ja? Und ich sag immer, wenn wir mit dem Thema durch sind, Corona, und hoffentlich sind wir bald durch mit dem Thema, das kann auch ein bisschen länger dauern – ich weiß es nicht – habe ich möglicherweise eine Wirtschaftslage in einer Stadt, die wieder sozusagen an der Grenze Deutschlands liegt. Die Grenze ist geschlossen. Menschen sind in Kurzarbeit. Aktuell ist die Werft geschlossen. Also ich könnte die Probleme dir genau benennen. Und mein größter Wunsch ist es, diese Probleme hier vor Ort zu lösen. Und da komme ich nochmal zu diesem Regionalen zurück. Ich kämpfe jetzt hier für diese Stadt und diese Region. Ich wünsche mir auch, dass sich die Menschen zu Wort melden. Mit ihrer Meinung, ich gebe ihnen die Meinung nicht vor. Und wir müssen aus diesen verschiedenen Polen, die es da gibt, gemeinsam einen Kompromiss finden, um durch diese Lage zu kommen. Ich gehöre nicht zu den Verschwörungstheoretikern, sondern ich versuche einfach, pragmatische Lösungen zu finden und zu sagen: Alle haben irgendwo ein bisschen Recht. Da wird es niemanden geben, der absolut die Wahrheit gepachtet hat – auch bei diesem Thema nicht. Und alle haben da ein bisschen Recht. Und lasst uns da wirklich gegenseitig immer wieder schlau machen. Diese Lage ist eine, wo wir jeden Tag morgens um halb 9 im Krisenstab sitzen und jeden Tag neu beurteilen – so dynamisch ist das. Und wir natürlich abhängig sind von der Bundesregierung, die nämlich sagt, wann es ein Kontaktverbot gibt und wann nicht. Und das ist nicht mehr kommunale Entscheidung. Und dann gibt es noch die Landesregierung, die sich dann anschließt und eine landesweite Verordnung herausgibt und wir Kommunen haben dann schlichtweg kaum noch Gestaltungsspielräume. Und das ist als Oberbürgermeisterin ganz furchtbar, weil ich möchte gestalten…. kann es gerade nicht. Aber wir wollen dieses Gestalten auch wieder zurückerobern – definitiv.
M. Jürgensen
Bild: Kugelsicher Marketing