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Landtagsrede der Bildungsministerin Karin Prien

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Landtagsrede der Bildungsministerin Karin Prien

Landtagsrede der Bildungsministerin Karin Prien am 23.02.2022 im Schleswig-Holsteinischen Landtag:

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
meine Damen und Herren,

Ende Januar ist in Deutschland ein Buch des amerikanischen Organisationspsychologen Adam Grant erschienen: Think Again – die Kraft des flexiblen Denkens.
Darin heißt es, ich zitiere: „In einer Welt, die sich rasant verändert, brauchen wir die Fähigkeit, Gedachtes neu zu überdenken und [uns] von Erlerntem wieder zu lösen.
Meine Damen und Herren, wir können auf die Pandemie im Jahr 2022 nicht mit den gleichen Lösungsansätzen reagieren wie in den beiden Jahren zuvor.
Erst vor wenigen Tagen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, unter anderem vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte und der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, die Politik zu einem Kurswechsel aufgerufen.

In dieser Hinsicht ist die Wissenschaft während der Pandemie für uns zu einem wichtigen Vorbild geworden. Denn sie hat uns gezeigt, wie entscheidend – und auch selbstverständlich – es ist, bisher Gedachtes neu zu überdenken, einen Kurswechsel nicht zu scheuen.
Diese Bewegungsbereitschaft im Denken, die brauchen wir alle. Denn die Pandemiesituation hat sich verändert.
Gegen schwere Krankheitsverläufe haben wir eine sehr gut wirksame Impfung – erst für die Erwachsenen, seit August 2021 gibt es auch eine uneingeschränkte Impfempfehlung der Stiko für alle Kinder und Jugendlichen ab 12 Jahren. Seit Dezember gilt die uneingeschränkte Empfehlung auch für vorerkrankte Kinder ab 5 Jahren.
Darüber hinaus können 5- bis 11-jährige Kinder ohne Vorerkrankung nach entsprechender ärztlicher Aufklärung auf Wunsch der Kinder und Eltern ebenfalls gegen Covid-19 geimpft werden.
Und meine Damen und Herren, wir haben in Schleswig-Holstein in allen Altersklassen mit Abstand eine der bundesweit höchsten Impfquoten.
Mit Novavax steht nun ein weiterer Typ von Corona-Impfstoffen zur Auswahl. Es gibt zunächst für etwa eine Woche eine Priorisierung unter anderem für Personen, die in allgemein- oder berufsbildenden Schulen oder an Förderzentren tätig sind.
Damit geben wir auch den sehr wenigen noch nicht geimpften Lehrkräften die Möglichkeit einer Impfung. Verändert hat sich die Situation außerdem, weil die Infektion durch die Omikron-Variante grundsätzlich zu einer geringeren Krankheitslast führt.

Kinder und Jugendliche sind durch die Infektion kaum gefährdet – wohl aber durch die Unterbrechung ihres Schulalltags mit Sport und Freizeitaktivitäten.
Deshalb können und müssen wir jetzt auch an Schule anders agieren. Wir dürfen nicht vergessen, dass jede Beurlaubung und das Fernbleiben vom Präsenzunterricht die Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit junger Menschen ebenso beeinträchtigt wie sie den Erwerb sozialer Kompetenzen verzögert, wenn nicht verhindert.
Das ist übrigens auch der Grund, warum alle Bundesländer spätestens Anfang März zur Präsenzpflicht zurückkehren. Nicht umsonst ist die Schulpflicht ein sehr hohes Gut. Sie beinhaltet auch das individuelle Recht, eine Schule zu besuchen. So jedenfalls interpretieren wir den Spruch des Bundesverfassungsgerichtes.
Es ist meine Aufgabe als Ministerin, allen Schülerinnen und Schülern in Schleswig-Holstein genau dieses Recht zu ermöglichen.
Und dennoch habe ich – auch als Mutter – Verständnis dafür, dass Familien sich um die Kinder oder auch um die Großeltern sorgen, dass Ängste bestehen. Ihnen möchte ich versichern:
Als Landesregierung handeln wir verantwortungsbewusst und in enger Abstimmung mit unserem Wissenschaftlichen Beirat.
Jeder Öffnungsschritt ist wohl überlegt und an die aktuelle Situation angepasst. Aber genau das ist auch unsere Aufgabe: dass wir nämlich auf sich verändernde Situationen reagieren – angemessen und sorgsam, aber reagieren.
Bei allem Verständnis für die Sorgen von manchen Eltern: Wir müssen raus aus einer Kultur der Angst an unseren Schulen und stufenweise zurück in die Normalität.

Unser Fahrplan sieht drei Schritte vor:

  • Ab dem 3. März entfallen alle Beschränkungen von Schulunterricht und Schulleben mit Ausnahme der Masken- und Testpflicht. Schon heute gilt, dass Arbeitsgemeinschaften unter den geltenden Hygienebedingungen wieder stattfinden können.
    Es ist von entscheidender Bedeutung für Kinder und Jugendliche, dass sie Schule als positiven Ort, als sozialen Ort mit allen Aktivitäten erleben können. Deshalb ist dieser Schritt zurück zur schulischen Normalität so wichtig.
  • Ab dem 21. März entfällt in einem zweiten Schritt die Testpflicht. Schülerinnen und Schüler sowie an Schulen tätige Personen können sich allerdings zunächst noch zweimal die Woche freiwillig zuhause testen. Hierfür werden Tests bereitgestellt.
  • Spätestens am 1. April endet die Maskenpflicht in den Schulen.

Dabei gilt – wie immer in der Pandemie: jeder weitere Schritt erfolgt unter Berücksichtigung des jeweils aktuellen Pandemiegeschehens – und nach Beratung mit dem Wissenschaftlichen Beirat.
Dementsprechend werden wir auch sorgsam im Blick behalten, ob es vertretbar sein könnte, dass die Maskenpflicht schon früher entfällt.
Über die Regelungen werden wir – wie bisher – mit den Vertretungen der Eltern und der Schülerinnen und Schüler sowie den Gewerkschaften und Verbänden sprechen. Und wir werden die Schulen so schnell wie irgend möglich informieren.
Mir ist es wichtig, dass wir jetzt alles tun, um unseren Schulen in dieser Situation des Umdenkens und der schrittweisen Rückkehr in die Normalität den Rücken zu stärken.
Deshalb richten wir – mit Verlaub liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und dem SSW – unseren Fokus jetzt nicht auf die Abfrage diverser Daten der letzten 12 Monate.
Zumal Sie viele Zahlen, nach denen Sie fragen, dem Dashboard entnehmen können. Seit dem Start des Dashboards im Dezember 2020 erheben wir während der gesamten Zeit in Schule die Zahlen und machen sie der Öffentlichkeit zugänglich. Rechtliche Grundlagen sind im Übrigen in den Verordnungen und Erlassen der Landesregierung zu finden. Dazu genügt ein Klick auf unsere Website.

Auf ein paar Punkte möchten aber doch noch eingehen:
Obwohl das Risiko für einen schweren Verlauf im Kinder- und Jugendalter sehr gering ist, gibt es in einzelnen Familien besondere Situationen. Entweder haben die Kinder und Jugendlichen selbst aufgrund einer Vorerkrankung ein klar erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf nach einer Corona-Infektion – oder sie leben mit besonders vulnerablen Menschen in einer häuslichen Gemeinschaft.
Für diese Schülerinnen und Schüler gibt es die Möglichkeit der Beurlaubung nach Antrag und mit einer ärztlichen Bescheinigung. Sie können von der Präsenzpflicht, aber nicht generell von der Schulpflicht befreit werden. Aktuell sind 186 Schülerinnen und Schüler aufgrund ihres eigenen Risikos beurlaubt, weitere 247 Schülerinnen und Schüler sind beurlaubt, weil sie mit einer Person aus der Risikogruppe in einer häuslichen Gemeinschaft leben.
Werden Schülerinnen und Schüler von der Präsenzpflicht befreit, wird ein individuelles Konzept für das Lernen in Distanz vereinbart. Dabei ist auch die soziale Funktion von Schule zu beachten. Kinder und Jugendliche, die von der Präsenzpflicht befreit sind, sollten die Anbindung an die Schule und möglichst auch an die Klassengemeinschaft nicht verlieren.

Meine Damen und Herren, wir haben die Situation dieser Kinder und Jugendlichen genau im Blick und wir wissen um unsere besondere Verantwortung.
Ein Blick auf die Gesamtzahlen – insbesondere die Hospitalisierung und die Auslastung der Intensivstationen – zeigt aber auch, dass die Pandemie – namentlich für Kinder und Jugendliche – keine unkontrollierbaren Gefahren mehr mit sich bringt. Die Entwicklung der Inzidenzen ist zwar nicht mehr das wesentliche Entscheidungskriterium, aber dennoch sind wir in Schleswig-Holstein auf einem guten Weg.
Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die mit oder wegen Corona hospitalisiert werden sinkt. Aktuell sind acht 0- bis 9-Jährige und sechs 10- bis 19-Jährige mit oder wegen Corona hospitalisiert. Verstorben durch Covid-19 ist in Schleswig-Holstein noch kein einziges Schulkind. In dieser Situation konzentrieren wir uns darauf, unsere Schulen und die Familien, vor allem aber die Schülerinnen und Schüler im Hier und Jetzt und in der Zukunft zu unterstützen. Denn eines ist klar: Die Folgen der Pandemie werden wir noch lange spüren.

Mit dem Bundes- und Landesprogramm „Aufholen nach Corona“ kümmern wir uns intensiv um die Lernrückstände. Große Sorgen machen uns derzeit die psychosozialen Folgen.
Das Rahmenkonzept für das Schuljahr 2021/22 gibt den Schulen bereits den Auftrag, auch die psychosoziale Gesundheit von Schülerinnen und Schülern in den Blick zu nehmen. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Corona-Pandemie zu einer Verschlechterung der Lebensqualität und der psychischen Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen beigetragen hat.
Studienergebnisse deuten darauf hin, dass derzeit mindestens ein Drittel der jungen Menschen unter psychischen Auffälligkeiten wie Sorgen, Ängsten, depressiven Symptomen und psychosomatischen Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen leidet.
Eine niedrigschwellige Frühintervention bei psychischen Erkrankungen junger Menschen kann verhindern, dass sich ein ernsthaftes und langwieriges Krankheitsbild entwickelt und ist damit gesellschaftlich sehr relevant.
Deshalb bin ich froh, dass Schleswig-Holstein mit dem Forschungsprojekt PRO-JUNG einen neuartigen Akzent in der Erforschung, Behandlung und Prävention psychischer Erkrankungen sowie Frühintervention in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie bei Schülerinnen und Schülern setzt. Der Fokus auf junge Menschen in Schule, Schulabschluss, Studium und Berufsausbildung ist von großer Relevanz, damit wir später nicht von einer „verlorenen Generation“ sprechen müssen.
Unser Ziel ist es, langfristig eine Lücke in der Versorgung junger Menschen mit psychischen Erkrankungen zu schließen. Das ist auch über die Pandemie hinaus von großer Bedeutung.
Wir prüfen derzeit, inwieweit wir ein zusätzliches Projekt auf den Weg bringen können, um sofort verfügbare Frühinterventionsangebote für vulnerable Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene auszubauen. Dazu sind wir in Gesprächen mit dem UKSH.

Ich setze mich sehr dafür ein, unsere Initiativen im Rahmen der KMK, aber auch im Austausch mit der Bundesfamilienministerin und der Bundesforschungsministerin auf breite Schultern zu stellen.
Denn es in unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Kinder, Jugendliche und auch junge Erwachsene sicher aus dieser Krise zu führen und langfristige Schäden zu minimieren.
Und genau dafür brauchen wir unsere Schulen und Hochschulen und alle an Ihnen Tätigen. Sie zu stärken ist unser Auftrag auch in den kommenden Wochen.

Quelle: Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Schleswig-Holstein

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