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Ferry Tales: Wie viel Homeschooling ertrage ich noch?

Leben

Ferry Tales: Wie viel Homeschooling ertrage ich noch?

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich kein Verhaltenswissenschaftler oder Pädagoge bin. Ich bin einer von Millionen Menschen in der Bundesrepublik, die normalerweise einer anderen Arbeit nachgehen und dank Corona und Lockdown nun zwangsweise zu Ersatzlehrern wurden. Und dazu muss ich außerdem noch gestehen, dass es mir im Gegensatz zu vielen anderen relativ gut geht. Denn ich habe aufgrund meiner aktuellen Kurzarbeitssituation zumindest Zeit für den „Spaß“ des Homeschoolings. Ich habe höchsten Respekt vor den Elternteilen, die tagsüber ihrer Vollzeitbeschäftigung nachgehen und danach dann noch lange – bis spät in die Abendstunden -mit den Kindern die Schulthemen durchgehen. Wie manch alleinerziehende Mutter oder auch Vater das noch schafft, ist mir manchmal ein Rätsel. Es gibt zwar die Option zur sogenannten Notbetreuung in den Schulen, aber die gilt auch nur für Eltern, die beide berufstätig sind und mindestens eine Person am Arbeitsplatz unabkömmlich ist. Nur dann dürfen Sie ihre Kinder in die Notbetreuung schicken – unabhängig von der Art ihres Jobs. Besonders schwer stelle ich es mir auch für die Eltern vor, die im Homeoffice arbeiten und „nebenbei“ noch die Kinderbetreuung bewältigen. Über einen kurzen Zeitraum ist so etwas sicher möglich, aber aus Tagen und Wochen wurden mittlerweile Monate. Wie lange ist so eine extreme Zusatzbelastung noch zu verantworten?

Die Gewalt an Kindern nimmt in erschreckendem Ausmaß zu

Die Luft ist langsam raus, auch bei mir. Anfangs funktioniertet es noch wunderbar. Ich habe aber auch sehr liebe Kinder, die die Corona-Pandemie von Anfang an sehr geduldig und verständnisvoll mitgemacht haben. Ich musste mich auch erst mal zurechtfinden und mir die Methoden erarbeiten. Aber es war ok. Mit der Zeit wurde es dann immer schwieriger. Die Konzentrationspanne der Kinder ließ deutlich nach. Sie stellten sich häufiger quer und wurden bockig. Auch die eine oder andere Träne floss dann öfter als zuvor. Und auch meine Geduld, wenn etwas nicht klappte, schwand dahin. Obwohl ich weiß, dass es nicht die Schuld der Kinder ist und auch nicht die meiner Frau, mutierte ich immer wieder zum meckernden Kotzbrocken. Wahrscheinlich auch aufgrund der Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation. Wo ausgebildete Pädagogen vermutlich dann noch fünf weitere Methoden haben, einem Kind die Themen beizubringen, war ich halt manchmal am Ende meines Lateins. Und das trotz der Tatsache, dass es sich bei mir „nur“ um Grundschulstoff handelte.

Ich bin Galaxien davon entfernt, meine Kinder jemals zu schlagen

Ich gebe aber zu, dass ich in einigen Situationen nervlich einfach komplett am Ende war. Und mir graut davor, darüber nachzudenken, wie es in einigen anderen Familie zugeht. Wie sieht so etwas in den sozial schwachen Familien aus? In denen Alkohol bei den Eltern an der Tagesordnung steht? In denen die Hand auch schon vor Corona häufiger „ausgerutscht“ ist?

So sieht der Alltag mittlerweile aus

Ich habe 3 Kinder im Alter von 6, 8 und 11 Jahren. Der jüngste geht normalerweise in die Kita und die beiden großen besuchen die 2. und 4. Klasse der Grundschule. Den Kindern fehlen spürbar der Schulunterricht, der Vereinssport die sozialen Kontakte mit den Freunden.  Wir stehen gerade deswegen auch trotz Lockdown und Kurzarbeit morgens früh auf. Ansonsten würde ich die Kinder einfach abends gar nicht mehr ins Bett bekommen. Nach gemeinsamem Frühstück beginnt also das Drama in mehreren Akten: Erst Deutsch, dann Mathe, dann Sachunterricht und bei der großen noch Englisch. Es gilt dann das Schulmaterial aus den Emails und Online-Plattformen zu ermitteln und auszudrucken. Dann sind außerdem noch Ergebnisse hochzuladen und Emails an Lehrer zu verfassen. Hinzu kommen Videomeetings mit der Klasse. Und ich bin unglaublich froh, dass die Lehrer die Mikrofone der Schüler abschalten können, damit immer nur eines der Kinder sabbelt. Nebenbei gilt es auch noch meinen Kleinsten zu bespaßen, der auch nicht immer nur in sein Zimmer geschickt werden möchte. Seine Kindertagesstätte ist ebenfalls geschlossen und seine doofen Puzzles kann er mittlerweile auch nicht mehr sehen.

Es gibt gravierende Unterschiede bei den Lehrern

Ich muss sagen, dass es wirklich großartige Lehrer gibt. Einige sind super engagiert und arbeiten eifrig daran, den Kindern in dieser schweren Situation trotzdem ein tolles Lehrangebot zu bieten. Sie erstellen wirklich gute Wochenpläne, drehen liebevoll Erklär-Videos, denken sich auch Spiele aus oder lesen einfach mal ein Kapitel aus einem Buch vor. Zusätzlich können sich die Kids immer bei Ihnen melden und manche brachten sogar Unterrichtsmaterial zu uns nach Hause. So dass sie (natürlich mit Abstand) die Kinder auch mal wieder zu Gesicht bekamen. Andere wiederum schickten nur einmal die Woche eine Mail mit zu bearbeitenden Aufgaben und einem Zweizeiler, der an die Trockenheit von getoastetem Zwieback erinnerte. Das Desinteresse ist bei dieser Variante der Lehrer massiv zu spüren. Es gibt halt solche und solche Lehrer. Das kennen wir wahrscheinlich auch alle noch aus der eigenen Schulzeit.

Wie geht’s weiter?

Ich gehe davon aus, dass ich kein Einzelfall bin und es vielen von euch ähnlich geht. Wir erzwingen einen Lockdown, um die Gesundheit der Menschen zu schützen. Aber wie viele andere gesundheitliche Probleme dieser Lockdown mit sich bringt, ist einfach nicht zu unterschätzen. Von Depressionen, über Verlustängste oder Einsamkeit bis hin zur Gewalt gegen Kinder. Wahrscheinlich noch zahlreiche andere Themen. Ich wünsche jedem da draußen, der in einer ähnlichen oder teilweise noch schwierigeren Lage ist viel Kraft, Geduld und Durchhaltevermögen. Denkt daran, dass es nicht die Schuld eurer Kinder ist. Aber auch nicht die der Lehrer, eures Partners und ebenso wenig deine!

Wir müssen es irgendwie schaffen.

Text: Ferry Dicy

Bild- Shutterstock

 

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